ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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DIE TOTEN HOSEN - Kontrollierte Offensive

Als Mannschaftskapitän der TOTEN HOSEN lud CAMPINO zum AUSWÄRTSSPIEL, so der Name ihrer neuen Ohren-Attacke. Das anschließende Gespräch wurde zur sportlichen Begegnung, in der sich der Spielführer einmal mehr als "offene Hose" entpuppte.

Ursprünglich war die Idee folgende: "Campino kommt zu Dir nach Hause. Ihr macht das Interview in deiner Wohnung." Das war zumindest der Plan von jkp, der Plattenfirma der Toten Hosen. Doch irgendwie wollte dieser Einfall bei mir nicht recht zünden, der Bude fehlt einfach das nötige Chaos. Außerdem würde das bedeuten, sich Lücken in der Gina-Wild-Video-Sammlung vorhalten lassen zu müssen; missbilligende Blicke zu kassieren, weil keine einzige (!) Dose Diebels im Kühlschrank steht und - schlimmer noch - eine gelbe Karte wegen Unvollständigkeit meiner Hosen-Scheiben zu riskieren (besonders aus den Achtzigern fehlt so manches). Kurzum, die Idee ließ keine rechte Freude aufkommen. Außerdem sollte das Ganze auch noch am frühen Morgen stattfinden...

Der Hinweis auf meinen unmittelbar bevorstehenden Umzug überzeugte die deutsche Punk-Institution schließlich. Als Treffpunkt einigte man sich auf den "Enzian", die legendäre Kneipe, betrieben vom "wahren Heino" und seiner Geschäftspartnerin Theo. Heino, alias Norbert Hähnel, zählt seit langen Jahren zum engeren Freundeskreis der Hosen, ihm ist eines der vierzehn Gräber auf dem Düsseldorfer Friedhof zugedacht, auf dem sich die Band samt Kumpels beerdigen lassen will. "Ich steh da auf der Gästeliste", meint der Blonde mit der großen Brille zu dem Thema lakonisch. Der knorrige Westfale ist übrigens kein Komiker, sondern in Wahrheit glühender Anti-Faschist, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, den alltäglichen Faschismus seines braungefärbten Namensvetters auf´s Korn zu nehmen.

Im "Enzian" spielt Campino erstmal geduldig eine Auswahl neuer Songs ihres kommenden Rundstücks AUSWÄRTSSPIEL vor. Auch nach hunderten von Hör-Umläufen beim Aufnehmen und Mischen hat der Mann immer noch Spaß an seinen Werken. Neben den gewohnten Westkurven-Hymnen der Marke "Und Jetzt Alle!" gibt es wieder ein paar moderne Nummern, mit denen die Rheinpiraten ihr musikalisches Spektrum erweitern. 'Cocaine', ein Cover der Siebziger Reggae-Größe Dillinger, erhält eine unerwartet harte Rage Against The Machine-Behandlung, 'Graue Panther' ist ein ironischer Mid-Tempo-Titel mit leichtem Hip Hop-Einschlag und 'Nur zu Besuch' eine Ballade, die sich mit Abschiedsschmerz befasst. Der Titelsong 'Auswärtsspiel' schließlich ist genau der Punk-Kracher, den man von den Fortuna Düsseldorf-Fans erwartet, die freilich von ihren trostlosen Kickern in den letzten Jahren gnadenlos gefrustet wurden.

"Es ging uns vor allem darum, die alte Energie wiederzufinden, die uns bei UNSTERBLICH (1999) ein bisschen flöten gegangen war. Es sollte wieder in Richtung OPIUM (1996) gehen, ein Höhepunkt von uns, wie wir finden", beschreibt der blondierte Mikromane den Kurs des frischen Drehers. "Sie sollte mehr knacken und rauchen. Letztendlich ist immer das drin, was wir Zuhause hören. Solche Sachen tippen wir aber nur an, ohne uns darauf festzunageln. Aber der Sound von Kapellen wie Rage Against The Machine oder Papa Roach ist schon beispielhaft", findet er. "Trotzdem können wir uns bemühen wie wir wollen, du wirst immer wieder die Hosen raushören. Wir lieben nun mal den Sound des englischen Punkrocks aus den Siebzigern, der wird uns nicht langweilig!"

So begeistert die Ober-Hose vom neuen Album ist, so krisengeschüttelt war die Zeit, die hinter ihm liegt. Am Pfingstsonntag 2000 riss sein Kreuzband. "Wir spielten Rock am Ring, es passierte beim ersten Lied. Ich hab weitergemacht, was sollte ich anderes tun? Nach Hause fahren?" Das kam für ihn nicht in Frage. "Erst dachte ich, da wäre was gebrochen, das Knie fühlte sich an wie Quark, man kippt zur Seite. Aber ich war damit beschäftigt, den Abend zu retten und so zu tun, als wäre nichts. Zwischen den Zugaben kam ein Arzt, konnte aber nichts feststellen. Er gab mir eine Beruhigungsspritze. Am nächsten Tag war das Knie dreimal so dick wie das andere, trotzdem haben wir noch ein Konzert in Holland gespielt. Der Schmerz ließ jedoch nicht nach, also hab ich es nochmal untersuchen lassen, daraufhin wurde es gleich operiert."

Es folgte ein halbes Jahr, in dem er von montags bis freitags in die Reha humpelte, um fünf Stunden zu trainieren. Prominente Sportler wären in dieser Angelegenheit wohl zu Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt gegangen, nicht so Campino. "Ich würde niemals zu einem Arzt des FC Bayern gehen, da wird auch noch mein anderes Bein ruiniert. Wir haben da bessere Leute", braust er auf. Überwindung wird ihn der Gang ins OP dennoch gekostet haben, der Operateur war pikanterweise der Mannschaftsarzt des 1. FC Köln. "Als erstes sagte er mir: ,Junge, dich operier ich ohne Narkose.‘ Ich lag auf seiner Station und hab ihn erstmal gebeten, die Köln-Fotos aus dem Raum zu nehmen." Am Ende wurden die Lokalrivalen dicke Freunde: "Das ist ein Super-Typ, der das erstklassig hingekriegt hat."

Kreativ spielte sich für den Sänger und Texter in dieser Zeit nichts ab: "Das ist eine andere Welt. Von heut auf morgen hast Du ein regelmäßiges Leben. Ich traf mengenweise Leisungssportler, hauptsächlich Handballer, aber auch Kicker von Fortuna bis hin zu Mario Basler. Da hab ich gemerkt, das Sportler einen harten Job haben und völlig auf sich allein gestellt sind. Ihr Verein ist kaum an Leuten interessiert, die nicht voll leistungsfähig sind."

Den Rest der Zeit widmete sich Campino der Betreuung seiner Mutter. Krebskrank, war sie zwei Tage nach seinem Kreuzbandriss die Treppe runtergefallen. "Darauf ist sie nie wieder aus dem Bett aufgestanden. Nachdem sie gestorben war, bin ich nicht mehr in die Reha gegangen, mein Bein war wieder fit", bemerkt der Hosen-Sänger. "Wenn ich meinen Unfall nicht gehabt hätte, wären wir das ganze Jahr auf Tour gewesen. Ich hätte nicht die Kraft gehabt, die Gigs abzusagen und stattdessen meine Mutter zu pflegen. Insofern bin ich dankbar, dass das passiert ist. Ich hatte Zeit, sie noch einmal intensiv zu erleben."

Der Tod der Mutter und der Bühnen-Unfall hätten sein Leben jedoch nicht geändert, über das Alter mache er sich nach wie vor keine Gedanken. "Ich bin jetzt 39, Verletzungen hab ich seitdem ich 16 bin. Ich hatte Wadenbein-Durchbrüche, Platzwunden ohne Ende und die Rippenbrüche kann ich gar nicht zählen. Älter wird man jeden Tag, ich bin froh, dass ich keine Zwanzig mehr bin. Ich seh das wie ein Fußball-Crack, ich verlänger von Jahr zu Jahr. Wenn ich sehe, dass wir zur Persiflage werden, hör ich auf."

Nach den Schicksalsschlägen ging er auf eine Reise durch Indien, zusammen mit seiner Freundin. Campino sucht die Begegnung mit anderen Welten, sei es der Rückzug in ein katholisches Kloster oder ein Trip durch den Subkontinent. "Unmittelbar nach der Beerdigung sind wir aufgebrochen. In Indien kann man sich treiben lassen und zuschauen wie andere Leute leben. Da setzt die Zeit aus, es interessiert niemanden, ob du weiß oder schwarz bist. Ein guter Fleck, um sich zu sammeln."

Nach seiner Rückkehr zogen sich die Hosen einige Monate in ein Haus in Spanien zurück, zusammen mit einem arbeitslosen Kumpel, der ungeahnte Kochkünste entwickelte. "Da kam ein Energieschwung, der zu den Texten führte, die den Weg aufs Album fanden."

Zum Schluss des Gesprächs kommen wir noch auf einen wichtigen Aspekt der Düssel-Punks zu sprechen. Frei nach dem Motto "Do It Yourself" haben sie in ihrer beinah zwanzigjährigen Karriere alles dran gesetzt, sämtliche Fäden selbst in der Hand zu behalten. Sie gründeten ihre eigene Plattenfirma, den eigenen Musikverlag, das eigene Tour-Unternehmen. Bis heute wird in Sitzungen der Band entschieden, in welchen Medien die Combo erscheinen will - die meisten Boulevardblätter und Regenbogenmagazine haben da keine Chance. "Man kann sich viel Mühe geben, dennoch muss man am Ende Leute seines Vertrauens Dinge regeln lassen. Wir haben nach wie vor ein gewisses Bewusstsein, ob das jetzt die Eintrittspreise angeht, die in unserer Gewichtsklasse immer noch die niedrigsten sind, oder unsere läppischen Gewinnspannen beim Merchandise-Verkauf."

Auch die Presseartikel über die Band lässt sich Campino zum Gegenlesen vorlegen. Zu Recht verweist er darauf, das sei gängige Praxis bei Stern, Spiegel etc., im Musikjournalismus ist das freilich unüblich (Ausnahme: Grönemeyer). Campino sieht sich in dieser Hinsicht als gebranntes Kind. "Ich lese das, um Wahrheitsverdrehungen zu verhindern. Es wird oft Scheiße geschrieben, die Medien kämpfen mit Haken und Ösen, sie picken sich die Sensationen raus." Manchmal rede er auch "Stuss" und bräuchte dann die Gelegenheit zur Korrektur. "Wenn ich mit jemandem spreche, will ich wissen: Wie stellt er das Gespräch dar? Das ist nicht diven-haft, sondern ein Grundrecht!"

www.dietotenhosen.de

Henning Richter

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